Kann die Türkei ein Garant für die Sicherheit der Ukraine sein?
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Die Absichten der Türkei
Die Türkei hat wiederholt ihre Bereitschaft und ihren Wunsch bekundet, sich nach dem Krieg an der Gewährleistung von Sicherheitsgarantien und -verpflichtungen für die Ukraine zu beteiligen. Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte im Februar 2025 , die Türkei sei offen dafür, der Ukraine im Rahmen eines endgültigen Friedensabkommens Sicherheitsgarantien zu gewähren. Im April 2025 berichtete Präsident Wolodymyr Selenskyj, sein Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan habe während der Verhandlungen die Bereitschaft der Türkei bestätigt, zu den Garantiemächten für die Sicherheit der Ukraine, insbesondere im Schwarzmeerraum, zu gehören. Selenskyj betonte, Ankara habe alle Möglichkeiten, einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit auf See zu leisten, und er sehe die Türkei als einen der wichtigsten Akteure im künftigen System von Sicherheitsgarantien.
Ende August 2025 erklärte der ukrainische Botschafter in der Türkei, Nariman Jelal, die Türkei sei bereit, im Rahmen von Abkommen über Sicherheitsgarantien Militärpersonal in die Ukraine zu entsenden und Unterstützung bei Minenräumungsaktionen im Schwarzen Meer zu leisten. Dies alles zeugt von Ankaras ernsthaftem Interesse an der Gestaltung der Sicherheitsarchitektur der Ukraine nach dem Krieg.
Garantien auf See
Am realistischsten ist die Beteiligung der Türkei an der Gewährleistung der Sicherheit im Schwarzen Meer. Ankara hat seine Fähigkeit, die Ukraine in diesem Bereich zu unterstützen, bereits bei der Initiierung und Umsetzung der Schwarzmeer-Getreideinitiative im Jahr 2022 unter Beweis gestellt. Die Türkei war ein wichtiger Verhandlungspartner mit den Vereinten Nationen. Nach dem Auslauf der Initiative im Jahr 2023 setzte Ankara seine Bemühungen in dieser Richtung fort. Zusammen mit Bulgarien und Rumänien – NATO-Mitgliedstaaten im Schwarzen Meer – initiierte die Türkei die trilaterale Minenabwehrinitiative (MCM BLACK SEA). Diese wurde zur Aufspürung und Neutralisierung von Treib- und Ankerminen geschaffen und trägt dazu bei, die ukrainischen Exporte auf dem Seeweg auch nach dem Auslaufen des Getreideabkommens fortzusetzen.
Ein vielversprechender Ansatzpunkt für die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Türkei könnte daher die Gewährleistung von Sicherheit und freier Schifffahrt sein. Derzeit bewegen sich ukrainische Schiffe ausschließlich in den Hoheitsgewässern Bulgariens, Rumäniens und der Türkei, um russischen Angriffen auszuweichen. Dadurch sind jedoch Schiffsverkehr und Handelsvolumen eingeschränkt. Allein im Jahr 2021 exportierte die Ukraine 151 Millionen Tonnen Güter auf dem Seeweg.
Die oben erwähnte Seeroute gewährleistete während des Krieges den Export von 150 Millionen Tonnen Gütern. Der Unterschied ist beträchtlich. Dies ist sowohl auf die zeitweilige Besetzung zahlreicher Häfen und die Betriebsunfähigkeit anderer Häfen als auch auf Einschränkungen des Schiffsverkehrs zurückzuführen.
Um das Handelsvolumen zu steigern, ist der Ausbau der Logistikrouten notwendig. Dies wird durch die Minengefahr und das Vorgehen der Russischen Föderation im Allgemeinen gefährdet. Die Türkei könnte einer der Staaten sein, die ukrainischen Schiffen die freie Durchfahrt im Schwarzen Meer garantieren. Türkische Schiffe könnten sich an der Patrouille des Seegebiets beteiligen, entweder eigenständig oder im Rahmen multinationaler Seepatrouillen.
Darüber hinaus ist die Türkei daran interessiert, den russischen Einfluss im Schwarzen Meer einzudämmen und ihre eigene Macht in der Region auszubauen. Nach Beginn der großangelegten Invasion am 24. Februar 2022 verweigerte Ankara russischen Kriegsschiffen aus dem Mittelmeer die Durchfahrt durch Bosporus und Dardanellen gemäß dem Übereinkommen von Montreux. Dieses verbietet Kriegsschiffen kriegsbeteiligter Länder die Durchfahrt. Zu den von der Türkei blockierten Schiffen gehörten der Lenkwaffenkreuzer „Warjag“, das Flaggschiff der russischen Pazifikflotte, das große U-Boot-Jagdschiff „Admiral Tributz“ sowie vier weitere Kriegsschiffe. Diese hätten die russische Luftverteidigung im Schwarzen Meer erheblich verstärken und Moskaus Raketenkapazitäten erhöhen können, was die Lage in der Ukraine verschärft hätte.
Ankaras Vorgehen half zwar der Ukraine, diente aber auch seinen eigenen Interessen. Nach zahlreichen ukrainischen Angriffen wurde die russische Schwarzmeerflotte maximal geschwächt, was den türkischen Einfluss stärken könnte. Derzeit lässt sich zumindest sagen, dass zwischen den Seestreitkräften Ankaras und Moskaus im Schwarzen Meer ein Gleichgewicht herrscht. Die Ukraine gab die Zerstörung eines Drittels der russischen Schwarzmeerflotte bekannt. Die verbleibenden einsatzbereiten russischen Schiffe sind gezwungen, in Noworossijsk stationiert zu werden.
Dies ist eine in den letzten Jahrhunderten beispiellose Situation. Die Beteiligung der Türkei an den Sicherheitsgarantien im Schwarzen Meer wird diesen Einfluss nur noch verstärken. Als potenziell stärkste Seemacht der Region wird sie in einem solchen Szenario die Stabilität gewährleisten können. Es ist zudem ungewiss, wie lange der Krieg dauern und wie viele russische Schiffe versenkt werden. Derzeit ist eine Aufstockung durch die türkischen Meerengen unmöglich, wovon Ankara dauerhaft profitiert.
Nach dem Krieg wird die Türkei jedoch erneut gezwungen sein, russischen Kriegsschiffen die Einfahrt ins Schwarze Meer zu gestatten. Dies wird sich negativ auf die Ukraine, die Türkei und andere Anrainerstaaten auswirken, da die russische Seemacht dadurch möglicherweise wiederhergestellt wird. Offensichtlich wird dies auch die Bereitschaft und den Umfang der von Ankara gegenüber der Ukraine in Aussicht gestellten Sicherheitsgarantien beeinträchtigen. Es ist äußerst schwierig, die freie Schifffahrt zu gewährleisten, wenn sich eine starke russische Flotte in der Nähe befindet.
Landgarantien
Die Beteiligung türkischer Streitkräfte an der Gewährleistung von Sicherheit vor Ort ist komplexer. Wie bereits erwähnt, hat Ankara seine Bereitschaft erklärt, Truppen in die Ukraine zu entsenden. Zunächst sollten die dafür sprechenden Faktoren erläutert werden:
Russland steht einer möglichen Präsenz westlicher Militäreinheiten in der Ukraine ablehnend gegenüber. Die Ukraine und ihre Verbündeten wiederum stehen Moskau und seinen Partnern in dieser Frage kritisch gegenüber. Die Türkei fungiert als Bindeglied zwischen Europa, der NATO und Russland. Präsident Erdoğan pflegt ein besonderes Verhältnis sowohl zu US-Präsident Trump als auch zu russischem Präsidenten Putin. Daher könnte die Türkei eine Kompromisslösung darstellen, die alle Parteien zufriedenstellt.
Die Türkei und insbesondere Erdoğan hegen große Ambitionen, Ankaras geopolitisches Gewicht in der Welt zu stärken. Sie zählt zu den wichtigsten Akteuren in Syrien, bei der Beilegung des Gaza-Konflikts und seit Kurzem auch im Südkaukasus. Aktuell hat die Türkei die Rolle eines zentralen Vermittlers in den Verhandlungen übernommen und wiederholt eine Plattform für den Dialog geschaffen. Ein Erfolg würde Ankaras Position festigen. Die Beteiligung an Sicherheitsgarantien wäre ein Zeichen dafür, dass die Lösung des größten Krieges in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ohne die Türkei nicht möglich ist. Dies würde ihren geopolitischen Einfluss erheblich steigern.
Darüber hinaus strebt die Türkei eine Reduzierung des Moskauer Einflusses im Schwarzmeerraum an. Russland dominiert die Region seit Jahrhunderten, und ein potenzieller Sieg über die Ukraine würde diese Machtposition weiter stärken. Dies lässt sich künftig durch eine wirksame Abschreckung in der Ukraine und im Schwarzmeerraum verhindern, die auf Sicherheitsgarantien und militärischen Mitteln basiert. Dadurch würde sich die Möglichkeit eröffnen, Russland in einem Zustand zu kontrollieren, in dem es seine Macht nicht wesentlich ausweiten kann.
Allerdings besteht derzeit keine absolute Gewissheit über die Beteiligung des türkischen Militärs oder die Anwesenheit ausländischer Kontingente im Allgemeinen. Dies birgt das Risiko einer direkten Konfrontation mit der russischen Armee, die jedes Land zu vermeiden sucht.
Eine realistischere und sicherere Option ist die Teilnahme am Waffenstillstandsüberwachungssystem. Ein ähnliches System unter der Schirmherrschaft der OSZE existierte während der beiden vorangehenden Vorkriegsphasen. Es kann nicht behauptet werden, dass es sehr effektiv war, aber dieses Szenario könnte in Zukunft in verschiedenen Konfigurationen erneut in Betracht gezogen werden. Für einen reibungslosen Betrieb sind wirksame Überwachungsinstrumente und Sanktionen gegen Verstöße gegen den Waffenstillstand/Frieden erforderlich.
Sollten ausländische Militärkontingente in die Ukraine einmarschieren, ist es hundertprozentig sicher, dass sich türkische Truppen darunter befinden. Ankara wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, seine Stärke zu demonstrieren.
Effizienz
Während Russlands Isolation seit 2022 (die sich nun allmählich auflöst) wurde die Türkei für Moskau zu einer der wenigen Brücken zur „großen Welt“. Sie schloss ihren Luftraum nicht für russische Flugzeuge, russische Touristen reisten weiterhin in Scharen an die türkischen Erholungsorte, und der Handel zwischen den Ländern nahm sogar zu.
Laut Reuters hat sich der bilaterale Handel zwischen Ankara und Moskau mehr als verdoppelt und erreichte 2022 mit 68 Milliarden US-Dollar seinen Höhepunkt, bevor er sich 2024 bei 46 Milliarden US-Dollar stabilisierte. In diesem Zeitraum stieg die Türkei von Platz 14 unter den größten Abnehmern russischen Öls auf Platz 3 auf; 70 % ihrer Seeölimporte stammten 2024 aus Russland. Sie wurde außerdem zum weltweit größten Importeur russischer Erdölprodukte und nahm 21 % der globalen Treibstoffexporte aus Moskau ab.
Die einzige Gaspipeline von Russland nach Europa ist nach wie vor Gazproms Turkish Stream. Dies erhöht die Bedeutung der Türkei für Moskau und trägt dazu bei, dass die russische Führung geneigt ist, den türkischen Entscheidungen oder Forderungen zuzuhören.
Man kann sich folgende Situation vorstellen: Türkische Beobachter oder Friedenstruppen dokumentieren einen Verstoß gegen die Waffenruhe, melden dies der russischen Seite und fordern die Einstellung solcher Handlungen. Wie könnte Moskau in einem solchen Fall reagieren, wenn die letzte Gaspipeline in den Westen durch türkisches Territorium verläuft und über diese Pipeline Sanktionen umgangen oder andere wichtige Wirtschaftsgeschäfte im Rahmen der westlichen Blockade abgewickelt werden? Russland wird der Türkei vermutlich eher Zugeständnisse machen als europäischen Staaten bei ähnlichen Forderungen.
Auf See ist die Lage ähnlich. Wie bereits erwähnt, ist die türkische Flotte der russischen derzeit nicht unterlegen, was größere Möglichkeiten für mutige Aktionen eröffnet. Ein Abfangen russischer Schiffe durch die türkische Marine, die versuchen, den künftigen Seekorridor unter Beteiligung der Ukraine zu blockieren, erscheint durchaus realistisch. Ankaras Beteiligung an den Garantien für die maritime Sicherheit wird dabei die wichtigste und realistischste sein.
Es ist wichtig zu betonen, dass all dies nur möglich ist, wenn die Türkei von einer Beteiligung profitiert. Neben der Stärkung ihres geopolitischen Einflusses muss Ankara ein gewisses wirtschaftliches Interesse an der Ukraine haben. Dies betrifft das übergeordnete Thema der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investitionen in unserem Land, wobei die Priorität unseren engsten Partnern gelten sollte.
In der Ukraine wurde bereits ein Baykar-Werk errichtet, das Erdoğans Schwiegersohn gehört. Es wurde von einer russischen Rakete getroffen, was die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland nicht gerade stärkt und darauf hindeutet, dass Ankara nicht mit Moskau kooperieren wird. Nach diesem Vorfall weigerte sich die Türkei, Russland die zuvor von Moskau angeforderten S-400-Luftverteidigungssysteme zu verkaufen.
Darüber hinaus baut die Türkei Korvetten der Ada-Klasse für die Ukraine. Zwei Schiffe wurden bereits fertiggestellt, zwei weitere sind bestellt. Somit haben die beiden Länder im Bereich des Schiffbaus bereits jetzt eine gemeinsame Basis für die kommenden Jahre.
Ein weiteres vielversprechendes Kooperationsfeld ist die Produktion verschiedener Drohnen. Letztere hat, mithilfe vergleichsweise kostengünstiger Seedrohnen, den Vorsprung der zahlenmäßig überlegenen russischen Flotte ausgeglichen und den Export von Gütern auf dem Seeweg ermöglicht. Es wird immer deutlicher, dass Seedrohnen die Zukunft sind.
Die gemeinsame Produktion solcher Geräte sowie deren Verkauf an Ankara sind vielversprechend. Die Türkei ist eine bedeutende Seemacht und an allen Innovationen in diesem Bereich interessiert. Es wäre für sie zudem von Vorteil, künftig nicht nur eine gemeinsame Produktion aufzubauen oder diese Güter aus der Ukraine zu importieren, sondern auch aus deren Erfahrungen zu lernen. Die Türkei verfügt über eine große Flotte, die solchen Angriffen sehr stark ausgesetzt ist. Ukrainische Ausbilder könnten türkische Seeleute schulen und ihnen nicht nur den Einsatz von Drohnen, sondern auch deren Abwehr beibringen.
Im Zusammenhang mit Drohnen ist die Zusammenarbeit im Bereich unbemannter Luftfahrzeuge (UAVs) erwähnenswert. Die Ukraine liefert bereits Triebwerke für türkische Drohnen, insbesondere für die Modelle Akıncı UAV, Bayraktar Kızılelma und andere. Diese werden in Saporischschja im Konstruktionsbüro „Progress“, genannt zu Ehren von O. G. Ivchenko ,und „Motor-Sich“ gefertigt.
Die gemeinsame Beteiligung beider Staaten an der Erschließung der Bodenschätze im ukrainischen Teil des Schwarzen Meeres ist ebenfalls interessant. Kyjiw verfügt derzeit nicht über die nötigen Technologien, doch nach dem Ende der aktiven Kampfhandlungen könnte Ankara technologische Unterstützung leisten und an den Gewinnen beteiligt werden. Dies käme beiden Ländern zugute.
Generell sollte die Ukraine die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern intensivieren, damit die Türkei sich effektiv an Sicherheitsgarantien beteiligen kann. Dies könnte beispielsweise höhere Beteiligung türkischer Unternehmen im Bereich des Wiederaufbaus der Ukraine sowie gemeinsame maritime und technische Projekte umfassen. Ohne diese Zusammenarbeit wird die Bereitschaft zur Unterstützung Kyjiws deutlich geringer sein.
Aussicht
Die Beteiligung der Türkei an der Sicherung der Nachkriegssicherheitsarchitektur ist unausweichlich. Ihre genaue Form ist noch unklar, doch Ankaras Engagement in maritimen Initiativen ist zu erwarten. Der Einsatz eines Bodentruppenkontingents gestaltet sich komplexer und hängt von der allgemeinen Entwicklung anderer Länder ab.
Die Ukraine kann nicht tatenlos zusehen und darauf warten, dass ihre Partner einfach so alle notwendigen Garantien bereitstellen. Es ist unerlässlich, heute Lösungen umzusetzen, die unsere Integration und Zusammenarbeit stärken. Dies würde die Länder enger zusammenschweißen und das Interesse anderer Staaten an der Gewährleistung der Sicherheit der Ukraine erhöhen.
Das analytische Material wurde von Oleksandr Buriachenko, einem Beobachter der Transkaspischen Region, speziell für Resurgam vorbereitet.
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