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6. Dez. 2025|6 MIN.
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Wie kann die Europäische Union ihre Energieabhängigkeit von Russland überwinden?

Photo: ua.depositphotos.com

Bis 2022 basierte die Energiesicherheit der Europäischen Union im Wesentlichen auf der Abhängigkeit von russischen Ressourcen. Jahrzehntelang waren Öl, Gas und Kohle aus Russland fester Bestandteil der europäischen Energiebilanz. Die wichtigsten Transportwege für diese Ressourcen waren die Gaspipelines Nord Stream 1 und Yamal-Europe, der Transit durch die Ukraine, TurkStream und die Druschba-Ölpipeline.

Im Jahr 2021 lieferte die Russische Föderation rund 40 % des europäischen Gases, mehr als ein Viertel des Öls und mehr als die Hälfte der Kohle. In einigen Ländern Mittel- und Osteuropas lag die Abhängigkeit von russischem Gas sogar bei 80–100 %. Rosatom behielt Schlüsselpositionen bei der Lieferung von Kernbrennstoff und beim Bau von Kernkraftwerken in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten. Dieses Modell gewährleistete stabile Liefermengen und wettbewerbsfähige Preise und galt jahrelang als optimale Lösung. Gleichzeitig schuf es jedoch eine strategische Verwundbarkeit: Ein bedeutender Teil der EU-Mitgliedstaaten war von einem einzigen Lieferanten abhängig, der Energieressourcen wiederholt als politisches Instrument einsetzte.

Russlands großangelegte Invasion in die Ukraine stellte die EU vor ein klares Dilemma: Entweder weiterhin abhängig zu bleiben und den Aggressor faktisch zu finanzieren oder das über ein halbes Jahrhundert aufgebaute Energiesystem zu demontieren. Das Problem lag jedoch nicht nur in der technischen Komplexität des abrupten Ersatzes der enormen Mengen an russischem Gas, Öl und Kohle, die Europa jahrzehntelang mit Energie versorgt hatten, sondern auch in der Tatsache, dass jede Verzögerung nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern auch eine direkte Bedrohung für die politische Einheit und Sicherheit des Kontinents bedeuten würde.

Als Reaktion auf Russlands großangelegte Invasion in die Ukraine und die Eskalation der Energieerpressung rief die Europäische Union im Mai 2022 den REPowerEU-Plan ins Leben, der sich 2025 zu einem umfassenden Fahrplan mit klaren Fristen entwickelte: ein vollständiger Stopp der Importe russischer fossiler Brennstoffe bis Ende 2027. Diese strategische Wende, verstärkt durch das 19. Sanktionspaket vom 23. Oktober 2025, beseitigt nicht nur die alte Abhängigkeit, sondern macht die Energiekrise auch zum Katalysator für eine grüne Transformation, in der die Diversifizierung der Energiequellen, Einsparungen und erneuerbare Energien zu Säulen einer neuen Sicherheitsarchitektur werden.

Während der dreieinhalb Jahre des Krieges hat die EU ihre Importe von russischem Gas (Pipeline und LNG) von 45 % im Jahr 2021 auf 13 % im zweiten Quartal 2025 reduziert. Diese Entwicklung schwächt nicht nur die finanzielle Grundlage der russischen Aggression, sondern verdeutlicht auch, wie Europa trotz des Wachstums der LNG-Importe aus den USA ( 45 % von über 100 Milliarden m³ im Jahr 2024) zwischen dringendem Ersatzbedarf und langfristiger Nachhaltigkeit abwägt.

Wichtige Phasen des Transformationsprozesses: vom Schock zur Konsolidierung der Gesetzgebung

REPowerEU, als Instrument zur Stärkung der geoökonomischen Resilienz, konzentriert sich auf drei Säulen: beschleunigte Diversifizierung, Ausbau grüner Energien und Sparmaßnahmen. Das Verbot russischer Gasimporte (einschließlich LNG) wird schrittweise eingeführt: ab dem 1. Januar 2026 für neue und kurzfristige Verträge (bis Juni 2026) und ab dem 1. Januar 2028 für langfristige Verträge, mit Ausnahmen für Binnenländer wie Ungarn und die Slowakei.

Das am 23. Oktober 2025 verabschiedete 19. EU-Sanktionspaket verschärfte die Beschränkungen im Energiesektor erheblich durch ein schrittweises Importverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG). Kurzfristige Verträge (Laufzeit unter einem Jahr) müssen innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Pakets – also bis zum 25. April 2026 – auslaufen, während langfristige Verträge (Laufzeit über einem Jahr, abgeschlossen vor dem 17. Juni 2025) bis zum 1. Januar 2027 gültig bleiben, ein Jahr früher als ursprünglich von REPowerEU geplant.

Das Maßnahmenpaket weitet das Verbot von Transaktionen mit den russischen Ölkonzernen Rosneft und Gazpromneft auf Raffinerien in Tatarstan aus und verhängt Sanktionen gegen chinesische Zwischenhändler – zwei Ölhandelsfirmen in Hongkong und den Vereinigten Arabischen Emiraten –, die russisches Rohöl kaufen. Darüber hinaus wird der Kampf gegen die „Schattenflotte“ verstärkt : 117 neue Schiffe (insgesamt 557) dürfen keine EU-Häfen mehr anlaufen, und die Erbringung von Seetransportdienstleistungen, einschließlich Versicherung und Vermittlung, wird eingeschränkt, um Umgehungsmodelle zu verhindern. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch einen neuen Überwachungsmechanismus.

Die Ukraine wiederum stoppte ab Januar 2025 den Transit von russischem Gas, was den endgültigen Schlag für das alte Modell bedeutete, aber auch eine Herausforderung für die EU darstellte: Der Verlust von 15 Milliarden m³ jährlich zwang sie, den Bau der LNG-Infrastruktur zu beschleunigen – die Kapazität wurde in den Jahren 2023–2024 um 70 Milliarden m³ erhöht, mit Plänen für +60 Milliarden m³ bis 2030.

Stattdessen veränderte sich die Struktur der Gasimporte in der ersten Hälfte des Jahres 2025 dramatisch: Norwegen lieferte 55 % des Pipelinegases, Algerien 19 %, Russland nur 10 % (über TurkStream) und die USA 27 % der Gesamtimporte dank LNG, wodurch sich die Lieferungen im Vergleich zu 2021 verdoppelten.

Diese Transformation wurde durch die systematische Einbeziehung dreier wichtiger alternativer Quellen aus anderen Regionen ermöglicht, insbesondere:

  • Nordafrika: Gasexporte aus Algerien nach Italien (bis zu 10 Milliarden m³ jährlich) und ein neues LNG-Hub in Ägypten (+9 Milliarden m³ ab 2021).

  • Aserbaidschan – 11,4 Milliarden m³ Pipelinegas im Jahr 2024 mit dem Plan, die Menge bis 2027 über den südlichen Gaskorridor auf 20 Milliarden m³ zu erhöhen.

  • Naher Osten (hauptsächlich Katar) – 5 % LNG, mit gleichzeitigen Investitionen in zukünftige Wasserstoff-„grüne Korridore“.

So haben innerhalb von drei Jahren Lieferregionen wie Nordafrika, Aserbaidschan und der Nahe Osten zusammen mit Norwegen und den USA 35–40 % der früheren russischen Mengen ersetzt.

Dieses Ersatzvolumen wurde durch Investitionen von rund 300 Milliarden Euro bis 2030 in LNG-Terminals, den Ausbau bestehender Pipelines (TANAP–TAP, Transmed, Greenstream) und bilaterale Verträge, die kurzfristige Versorgungssicherheit mit langfristigen „grünen“ Projekten (Wasserstoff aus Nordafrika, Solarenergie in Algerien) verbinden, Realität.

Doch hier liegt das Paradoxon: Trotz der Sanktionen sind die russischen LNG-Importe im ersten Halbjahr 2025 auf 16 % der weltweiten LNG-Importe gestiegen. Frankreich, Spanien, die Niederlande und Belgien sind dabei die wichtigsten Umschlagplätze (mit Reexporten nach Deutschland). Zwei Drittel der Verträge sind langfristig und daher schwer aufzulösen. Das Verbot von Spotgeschäften ab 2026 wird Russland jedoch jährliche Verluste in Höhe von 5 Milliarden Euro bescheren.

Stattdessen ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in der EU auf 47 % gestiegen (von +58 % der installierten Wind- und Solarkapazität seit 2021), wodurch mehr als 38 Milliarden m³ Gas eingespart werden; der Verbrauch hat sich seit 2021 um 20 % verringert.

Die vollständige Ablehnung Russlands durch die EU im Energiesektor hat sich somit als eine der wirksamsten Sanktionen gegen den Aggressor erwiesen, der durch den endgültigen Verlust des größten und profitabelsten Marktes auf dem europäischen Kontinent systemische Verluste erleidet. Die europäische Energieunabhängigkeit schwächt den Aggressor nicht nur, sondern gibt der Ukraine auch ihre natürliche Rolle als verlässlicher Energiepartner eines vereinten Europas zurück. Nach dem Wiederaufbau des durch russische Angriffe zerstörten Energiesystems wird das Land wieder in der Lage sein, sauberen Strom zu exportieren (wie bereits bis 2022) und gleichzeitig ein moderner, sicherer Transitkorridor für kaspisches Gas aus Aserbaidschan zu werden.

In diesem Szenario hört die Ukraine auf, nur ein „Transitland“ des sowjetischen Erbes zu sein, und wird zu einem vollwertigen Teilnehmer an der neuen europäischen Energiekarte – mit eigener Energieerzeugung, erneuerbaren Energiequellen und diversifizierten Routen, die die Sicherheit des gesamten Kontinents stärken.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der größte Teil der Substitution russischer Energieträger durch den Abschluss mittelfristiger Verträge über die Lieferung von LNG mit den Regierungen anderer gasproduzierender Länder mit einer Laufzeit von 12 bis 24 Monaten sichergestellt wurde.

Daher sollten die europäischen Institutionen davon absehen, all ihre Anstrengungen und Finanzmittel auf ein einziges großes „Vorzeigeprojekt“ (beispielsweise ein riesiges stationäres LNG-Terminal oder eine neue Hauptgaspipeline) zu konzentrieren. Stattdessen sollten sie parallel 10 bis 20 relativ kleine Projekte initiieren, deren einziges Auswahlkriterium die Inbetriebnahmezeit von maximal 24 Monaten sein sollte.

Der Energieausschluss Russlands hat sich als wirksamste Sanktion und zugleich als Katalysator für Europas grüne Transformation erwiesen. Daher sollten nach 2027 alle Versuche, wieder russische Energieträger zu importieren, unmittelbar als Lockerung der Sanktionen und Kofinanzierung von Aggressionen interpretiert werden. Dies muss klar in Sicherheitsstrategien und internationalen Abkommen verankert werden, um einen politischen Rückzieher auch im Falle eines Regierungswechsels oder einer Änderung der außenpolitischen Lage zu verhindern.


Die analytische Artikel wurde von Nikita Nosik, einem Praktikanten des Thinktanks Resurgam, vorbereitet

Der Autor des Artikels:
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